Völlig überfordert …

Völlig überfordert, so habe ich mich 3 Tage nach unserem Programmbeginn gefühlt. Die großen Mädchen ließen sich nur schwer motivieren am Vormittag überhaupt zu erscheinen oder haben immer irgendwelche Ausreden parat gehabt. Zum Glück hat sich das nach einer Ansprache von Teacher Mel ein wenig geändert. Besonders Backen macht Ihnen viel Spaß. Deswegen haben wir es am Anfang auch als Druckmittel verwendet. Wer regelmäßig kommt, darf backen. Aber eigentlich müssen wir diese Regel gar nicht mehr anwenden. Zum Glück, denn unser Ziel ist es, dass die Mädchen gerne erscheinen. Wir haben eigentlich 7 Mädchen in unserer Gruppe, aber eine oder zwei fehlen immer. Wir nehmen das ganze nur nicht mehr persönlich. Es fällt besonders den Kindern, die hier unterrichtet werden, schwer Strukturen und Regeln zu befolgen.
An meine Grenzen bin ich erst richtig mit der Nachmittsgsgruppe gekommen.

15 verhaltensauffällige Kinder, Matilda und ich in einem Raum. Generell 2 laufen irgendwie im Raum rum, gehen an die Materialen, wälzen sich auf dem Boden oder prügeln sich. Dass wir die Sprache nicht beherrschen und sie Englisch ebenso wenig, macht es nur um so schwieriger. Genauso wie von außen kommende Störfaktoren in Form von anderen Kindern die z.B. mit einer Metallstange das Fenster und die Tür einschlagen wollen.

Nach anderthalb Stunden völliger Überforderung und Versuchen die Gruppe irgendwie ruhig und ordentlich zu kriegen, sind Matilda und ich mit unseren Nerven am Ende gewesen. Die nächsten Tage wurden dennoch besser, da nicht alle Kinder kamen und man beim Tanzen ihre volle Aufmerksamkeit hat. Mit Begeisterung tanzen sie unsere (spontan erdachten) Bewegungen nach. Man muss hier ganz anders an die Arbeit herrangehen und seinen zuvor ausgeklügelten Plan am Ende doch umschmeißen. Irgendwas kommt immer dazwischen. Aber so üben wir uns der Spontanität und werden damit ein Stück philippinischer.
Die nächsten Monate werden auf alle Fälle eine Herausforderung und wir hoffen mehr Hilfe von dem Personal hier vor Ort zu bekommen. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, was diese Kinder alles erlebt haben. Ich würde ihnen gerne so vieles vermitteln und beibringen. Doch oftmals ist man nur damit beschäftigt die Kontrolle über die Situation zu bewahren. An so vielen Stellen wird Hilfe benötigt in Form von Personal, das sich ausschließlich um die Kinder kümmert, ihnen Werte vermittelt und Aufmerksamkeit schenkt. Daran mangelt es hier leider und Matilda und ich können das alleine bei der Anzahl von über 70 Kindern schlecht leisten. Wir fangen klein an und die Zeit, die wir mit ihnen verbringen, ist hoffentlich auch schon wertvoll für sie.

Regenschirmmomente

b1d6d5a7b7fd376be69611d619241fb2

Wie man schon vielleicht meinem Artikel über die Kinder entnehmen konnte, haben einige Kinder hier ein ernstzunehmendes Gewaltproblem. James führt diese Liste definitiv mit an. Nicht nur, dass er anderen Kindern wehtut indem er kneift oder prügelt, auch gegen uns Mitarbeiter wird des Öfteren die Faust ausgestreckt. Sein Gesichtsausdruck bekommt dann etwas sehr hartes, der Kiefer wird angespannt und seine Augen funkeln böse zu einem hinauf. Am Anfang habe ich dann immer schnell das Weite gesucht. Besonders schlimm ist es, wenn man eins von den kleinen Kindern auf dem Arm hat. Als ich die kleine Suzette auf dem Arm hatte, ist er mit einer Metallstange hinter uns her gelaufen. Kein Mitarbeiter in Sicht, dennoch ein paar von den großen Mädels, die zumindest Abstand zwischen uns gebracht haben. Ich bin mir ziemlich sicher, er hätte uns nicht geschlagen, aber es ist schon sehr beängstigend, einen 10-Jährigen mit einer Metallstange hinter sich herlaufen zu haben. Irgendwann hat er sich dann ein wenig beruhigt und das Weite gesucht.

Wenn James wütend ist, wirft er auch oft, wenn alle Essen, Steine auf den Saal. Zum Glück bestehen die Fenster nur aus einer Art Fliegengitter und nicht aus Glas. Dennoch ist das Ganze sehr laut wenn die Steine das Dach treffen. Manchmal lassen die Mitarbeiter ihn einfach wüten oder einer begibt sich in die Gefahrenzone, um ihn zu besänftigen. Bei den meisten ohne Erfolg.

Bei James denke ich mir immer, was muss dieses Kind in seinem so kurzen Leben Schlimmes erlebt haben damit es solche Verhaltensausbrüche hat.

Seine Ausbrüche sind ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Zuneigung. Besonders diese Kinder haben Zuneigung am nötigsten, doch leider fällt es den meisten Menschen schwer hinter diese Fassade zu blicken und ihnen Liebe und Aufmerksamkeit (nicht nur wegen der Wutausbrüche) zu schenken.

Dank eines Regenschirms und ziemlich heftigem Regen wurde mir das bewusst und eine ganz andere Seite von James gezeigt.
Manchmal fängt es hier auf einmal ganz heftig an zu regnen und kann sehr lange dauern. Nach dem Abendessen ging es los und kein Ende in Sicht. Doof, wenn man dann keinen Regenschirm dabei hat. Da Matilda krank war und ich ihr das Essen zu unserem Haus bringen musste, waren das Essen und ich dem Regen schutzlos ausgesetzt. Gerade als ich aus der Hintertür der Küche kam, sah ich James ins Domotory der Kinder mit einem Schirm gehen.

Ich rief seinen Namen und ob ich mir den Schirm leihen könnte. Er kam zurück, hat mir bis zum Haus der Kinder den Schirm gehalten und ihn mir dann gegeben. Ich war so dankbar und habe ihm das immer wieder gesagt. Seit dem Moment hat sich was bei mir und ihm verändert. Mit ist klar geworden, dass James auch andere zuvorkommende Seiten hat, dass ich ihn nicht immer nur mit seinen Gewaltausbrüchen sehen soll. Er hat sich mir gegenüber auch verändert. Vielleicht weil er mir etwas geben konnte und ich ihn gebraucht habe.

Er ist jetzt viel freundlicher, ruft oft meinen Namen und möchte umarmt werden.

Manchmal brauchen wir so kleine „Regenschirmmomente“, die unsere Sicht und damit unser Verhalten verändern.

Vom Steine werfen bis Dächer klettern

Seit zwei Monaten lebe ich in Puypuy auf dem Visons of Hope Campus. Die ganze Zeit versuche ich, einen Beitrag über die Kinder hier zu schreiben. Es ist schwierig all die vielen Eindrücke in Worte zu fassen.

Hier auf dem Campus Leben über 80 Kinder. Der jüngste ist zwei Jahre alt und die ältesten Mädchen besuchen das College.

Die Jungs wachsen hier auf bis sie ca. 10 Jahre alt sind. Dann ziehen sie auf den Magdalena Campus um, der eine Stunde von unserem entfernt ist.

Nicht alle Kinder sind Weisen, manche Kinder haben noch Eltern. Sie können ihre Kinder hier auf dem Campus besuchen und – wenn es möglich ist – über Feiertage zu sich nehmen. Doch leider kommt das sehr selten vor. Manche dieser Eltern sind selber in einem CCT (Die Organisation hier vor Ort) Programm. Sie erlernen Berufe und sollen so in einen normalen Alltag zurück geführt werden. Gelingt ihnen dies und sie bekommen Arbeit sowie ein festes Zuhause, besteht die Möglichkeit, die Kinder wieder bei Ihnen einziehen zu lassen.

Bis jetzt kennen wir nur von einzelnen Kindern die Geschichte. Bei vielen können wir nur am Verhalten erahnen, was für schlimme und vor allem brutale Erfahrungen sie in ihrem bisher kurzen Leben machen mussten.
Viele Kinder haben überhaupt keine Distanz. Sie rennen direkt auch auf Fremde (z.B. Besucher) zu und umarmen sie. Generell suchen sie sehr viel Körperkontakt durch Umarmungen, die schnell zu einer festen Umklammerung wird. Am liebsten würden sie dich gar nicht mehr los lassen.

Sie sind sehr neugierig und hinterfragen alles. Oft wird an unserem Zimmer/Häuschen geklopft, unsere Namen gerufen oder der ein oder andere versucht, mit uns ins Zimmer zu spazieren. Wenn wir (so schwer uns das auch manchmal fällt, aber irgendwie muss man seine Privatsphäre bewahren) dies zu ignorieren versuchen oder ihnen sagen, wir könnten gerade nicht raus kommen, wird dann auch schon mal das Fenster von außen geöffnet (wir bekommen es nicht abgeschlossen und auch das Gitter hilft nicht wirklich) und es wird versucht ins Zimmer zu klettern.

Geklettert wird allgemein sehr viel. Sei es auf den großen Mangobaum, kleine Bäume, bei denen man denkt der Ast bricht gleich ab, oder auf Hausdächer. Nichts ist zu hoch und und kein Weg zu schwer. Man klettert einfach den Stamm oder die Regenrinne hoch als sei man ein kleines Äffchen.

Ein Gutes hat die Sache aber auch: Es werden Regenrinnen geputzt und Bälle sowie Schuhe zu Tage befördert. Letztere findet man auf dem ganzen Campus verstreut wieder. Meistens nur einzelne Schuhe. Wenn man mal ein ganzes Schuhpaar benötigt und die eine Hälfte einfach nicht zu finden ist, greift man zu einem anderen Schuh der alleine vor sich hin lebt. So entstehen die interessantesten Kombinationen. Es ist aber auch manchmal schwer seine ganzen Sachen beisammen zu halten.
Hier und da bekommt man auch viele ernste Auseinandersetzungen mit. Es fliegen Fäuste, es wird getreten und mit Sachen geschmissen. Am liebsten mit den Steinen der Auffahrt. Manchmal benötigt es zu dieser Tat gar keinen bestimmten Grund. Deswegen ist es umso wichtiger, Ihnen beizubringen Konflikte anders zu lösen und Ihnen mit viel Ruhe und Geduld gegenüberzutreten und dabei ein gutes Beispiel zu sein.
Ich könnte so viel über diese Kinder schreiben. Über ihr zusammengeflicktes Gummitwist, das Fangen von (ekligen/beeindruckenden und auch sehr flinken) Insekten. Flaschen werden zum Terrarium und die Schubkarre zum Auto. Vor Regen wird nicht zurück geschreckt.

Besonders Schwimmen macht dann am meisten Spaß und es wird ausgelassen getobt und vom Beckenrand ins Wasser gesprungen. Seifenblasen werden vor die großen Ventilatoren gehalten, sodass sie durch den ganzen Raum fliegen und mit Freude gejagt werden können. Katzenbabys werden gekuschelt, gepflegt und überall mit hin genommen.

Sie haben hier die Gelegenheit ganz Kind zu sein und können rumspielen und kreativ sein. So bekommen sie ein bisschen Unbeschwertheit zurück, die sie bei einem Leben auf der Straße nicht hätten.

12047312_1063157227035299_498408643_n

 

12041999_1063157193701969_1066842101_n

Schau mal, eine Hochzeit!

Es begab sich an einem Sonntag auf dem Rückweg von der Kirche, dass sich uns ein interessantes Spektakel darbot. Von weitem konnte man ein weißes altes, dennoch schick geschmücktes Auto erkennen. Dahinter eine Traube von Menschen, die hell gekleidet waren. Ich habe sofort meine Begleiter drauf aufmerksam gemacht und Matilda und ich waren uns einig, es könne sich nur um eine Hochzeit handeln. Unsere philippinische Begleitung Jamaica machte uns dann aber darauf aufmerksam, dass es sich um eine Beerdigung handle. Ich glaube, unsere Gesichter und unsere Verwunderung muss ich an dieser Stelle nicht weiter beschreiben.
Beim Näherkommen konnte man erkennen, dass die Menschen hinter dem Auto nicht wie vermutet schick gekleidet waren, sondern alle das gleiche weiße T-Shirt mit einem Foto des Verstorben trugen. Im Auto befand sich auch kein Brautpaar, sondern der Sarg mit dem Toten.

Wenn wir es richtig verstanden haben, werden die Verstorbenen noch eine Woche zu Hause aufgebahrt, damit sich jeder von ihnen verabschieden kann. Am Tag der Beerdigung begleitet man sie dann gemeinsam zur Kirche.